Radovan Vlahović: "Unangekündigt wie der Tod : Facebook Notizen I" (Nenajavljeno kao smrt : Facebook beleške I“ na nemačkom, prevela Daliborka Stojanović)



Banatski kulturni centar, 
Novo Miloševo, 2012.
Više o knjizi na srpskom jeziku možete pročitati ovde: http://vlahovicradovan.blogspot.com/2013/08/radovan-vlahovic-nenajavljeno-kao-smrt.html


Leben bedeutet sich ändern

Leben bedeutet sich ändern, den unruhigen und rebellischen Geist für die Perzeption der verschiedenen neuen und alten  Regeln und Normen verbessern. Man soll zahm werden. Leben bedeutet, jeden Tag die Grenzen der Freiheit erweitern.
Es ist Kunst, in sich diese beiden Imperative zu versöhnen, und es ist möglich, das was man sagen möchte, in eine bestimmte Orthographie zu setzen, und wem und auf welche Art man es sagen möchte.
Schreiben bedeutet denken, und denken bedeutet leben, und leben heißt sich ändern, indem man dabei ein unwiederholbares geistiges Unternehmen in der Suche nach der Selbstverwirklichung unter dem Himmel und Gottesauge macht.
  

Ein leiser und freundlicher Gesprächspartner

Der Wind ist ein leiser und freundlicher Gesprächspartner. Der Freund, der in unser Leben kommt, wenn wir ihn in der Einsamkeit suchen, und wenn wir ihn bemerken möchten, und einen sprchlosen Wunsch nach dem Gespräch, der Beichte, der Klage, dem Lob oder sogar nach etwas anderem auferlegen.
Der Wind ist ein Stammesgenosse, den wir verheimlichen, intim erleben, sich selbstsüchtig aneigen. Der Wind ist eine Gottesgabe für die Einsamen, die Zärtlichkeit wünschen, aber diese nicht bei den Menschen suchen. Er ist eine Bewegung, eine kosmische Energie, der, wenn er den Sturm auch trägt, den Geist auf Kreation bei denen bewegt, die ihn erkennen und aufgeben und bereit sind sich geistig höher und weiter als der Alltag, der ihnen die Gehirne zerschlagen wollte, zu erheben.
Wir gehen festen, gleichmäßigen Schrittes durch die Welt bis zum Ende des einen und Anfang des anderen neuen Lebens, dessen gehobenen Sinn wir im Windstoß, der leise und freundliche Gesprächspartner und Freund in der Befragung über sich selbst und die Welt, nur ahnen.



Verzeih und befrei dich

Verzeih den Menschen, dem Planet Erde, den Ahnungen, schwarzen, naiven, dem Wunsch nach mächtigen Wörtern, die du, der durch die Lieder der Selbstmörder gelehrt worden bist, lange in der Untervernunft verborgen hast.Der Unfall wird vergehn, dieser ist vergangen, sobald du das Auge schließt. Reinige dich durch die Vergebung, und befreit und leise, ruf die Engel der Freude herbei. Sie sind da, du siehst sie nicht von Klamotten, Schmutz und Quatsch.Verzeih, um dich zu befreien, um frei, fast körperlos, flugbereit zu werden.
Unter den Wolken, kräftig und zahm, durch den klaren, luftigen, hellen Himmel erkennst du die geistigen Flügel. Es wird dich die eigene Weite streicheln, eine Endlosigkeit frei von den verborgenen Gedanken über Leiden, Gewalt und Böse.Verzeih allen, um frei zu sein. Erbitte an diesem Morgen einen Abschied zur Befreiung, auch von sich selber. Damit dir die geistigen Flüge wachsen und um einen Flug in die Freude des Unendlichen anzufangen.



Die Freude am Lesen

Das Buch von Radovan Vlahović Unangekündet wie der Tod gehört zu einer ganz neuen literarischen Gattung, die bei uns heimisch wurde, als die Rechner Einzug hielten in die schriftstellerischen Werkstätten und als das Internet ein Teil des Morgensrituals, so wie Duschen oder Rasieren wurde. Das Internetprogramm Facebook ersetzte den Briefträger, der euch  jeden Morgen die Briefe bringt, in denen ihr die Handschriften lieber Freunde erkennt. Facebook öffnete Fenster und Türen der schriftstellerischen Werkstätten und das, was Schriftsteller und Dichter manchmal einsam machten, weit ab von den Augen der Öffentlichkeit, machen sie jetzt vor aller Augen. Zwar nicht alle: Nur die Seltenen, die Tapfersten. Und so haben wir Gelegenheit, Gedichte, Prosa, Kritik, Tagebuchaufzeichnungen zu lesen, die erst vor kurzem persönlich auf einer Tastatur getippt wurden.
Unangekündigt wie der Tod - ein guter Titel für das, was du beabsichtigst, am Morgen zu schreiben, auf einen leeren Computerbildschirm schauend. Diese Sätze, die du in die Rubrik Notizen auf Facebook eintippen wirst, kommen auch plötzlich, unangekündigt wie der Tod oder die Liebe ankommt.
In diesem Buch von Radovan Vlahović ist eine Auswahl von kurzen Aufzeichnungen veröffentlicht, die dieser Schriftsteller, einsam und zurückgezogen, in Tagebuchform, vor den elektronischen Augen der Öffentlichkeit jeden Tag lange Zeit geschrieben hat. Daher hat es den Reiz eines unverfälschten Tagebuchs. Diese neue Art des Ad-hoc-Schaffens, in gewissenem Maß dem surrealistischen automatischen Schreiben ähnlich, schließt die Authentizität des schöpferischen Erlebnisses und die Überlegung eines Themas ein. Es gibt da keine Rückkehr zum Text und keine nachträgliche Vernunft. Einige alte Schriftsteller wären vor einem solchen Mut erschrocken. Aber sucht deshalb in diesen Texten keine stilistische Perfektion, denn in ihnen ist vor allem anderen die Frische der Gedanken und Gefühle das Wichtigste.
So ist es in diesem Büchlein, das als Brevier dienen kann, weil ich keinen Menschen kenne, der nicht darüber nachgedacht hat, schreibt Radovan Vlahović über seine Frühmorgengedanken, über den frischen Morgen nach dem Regen, Dämmerung, Daten, Nachmittage, Erinnerungen, Spiegel und Selbstbetrachtung,  über die Ziegen, die zwischen zwei Kirchen spielen, Verzeihung und Selbstbefreiung, Schaffung des Wertsystems, weit von den Augen der kompromittierten gesellschaftspolitischen Wirklichkeit, über die Vögel, den Wind, die Krise in diesem alltäglichen Schreiben, wenn du keine Idee hast, und aber über die wichtigsten Sache auf der Welt schreiben willst - über die Liebe.
Das Buch von Radovan Vlahović Unangekündigt wie der Tod  ist ein Buch über die Morgenbeobachtung. Aber vergesst das klassische Bild, das Radovan Vlahović sich auf die Ellbogen gestützt am Fensterrahmen am Morgen darstellt, wie er die Welt um sich herum beobachtet. Seid ein wenig surreal, Dali-mäßig, aufgelegt und stellt euch vor, wie Radovan sich auf die Ellbogen gestützt am Fenster, das in seinen Körper hineinschaut, seine eigene Seele beobachtet. Hey, es ist ein Erlebnis! Lege Stilistik und Sätze, die dir vielleicht bekannt schienen, zur Seite. Hier ist die Frische und Aufrichtigkeit der Erlebnisse wichtig. Das, was euch bekannt scheint, bedeutet, dass viele von uns gleich denken. Aber es gibt neue, unwiederholbare Bilder, Assoziationen, Erlebnisse... unwiederholbare. Darin liegt der Reiz dieses lyrisch meditativen Tagebuchs, das, trotz allem, voller Optimismus ist. Es gibt auch eine Lehre, wer sie ziehen kann, obwohl es, Gott behüte, keine lehrreiche Literatur ist: Vergiss den Alltag und beschäftige dich mit dir selbst, weil du nur diese Zeit hast, die dir gegeben ist, um sie zu durchleben: diese Zeit; gib allein deinem Leben einen Sinn, das kleine Augenblicke des Glücks hat, alles andere ist eine Verschwendung der Gottesgabe.
Lest das Buch von Radovan und beginnt euer Eigenes zu schreiben: Ihr werdet sehen, wie es gleichzeitig ähnlich und doch verschieden sein wird... Lasst euch vom Titel Unangekündigt wie der Tod nicht erschrecken! Wenn ein Augenblick der Privatsphäre erlaubt ist, nenne ich Radovan wegen des Optimismus, den er ausstrahlt, FREUDE*...

Bratislav R. Milanović

 
* Anspielung auf den Namen des Autors Radovan (von radovati se, das bedeutet sich freuen)
(A. d. Ü.)

 

Schreiben als magisches Ritual

Im Nachdenken über die Handschrift (ich las diesen Text vor der Veröffentlichung, so dass es üblich ist, dazu Handschrift zu sagen) von Radovan Vlahović Unangekündigt wie der Tod werde ich mich nicht mit der Bestimmung der Gattung beschäftigen, ob es sich um: Gedichte in Prosa, Lyrik-, Philosophie-, Tagebuchaufzeichnungen, meditative Prosa ... oder einfach ein wenig von allem handelt, aber doch von etwas ganz Neuem. Die Multidisziplinarität der Formen innerhalb eines literarischen Textes ist schon seit langem kein Vorfall mehr, sondern etwas, was wünschenswert ist. Ich würde damit anfangen, dass es, im echten Sinne des Wortes, eine Handschrift ist und dass es das auch nach der Gestaltung in einem Buch bleiben wird. Über die Handschrift können wir das ganze literarische Labor des Autors sowie das  künstlerische, spirituelle und psychologische Profil von Radovan Vlahović entschlüsseln  so wie Graphologen die Charaktereigenschaften und augenblickliche psychische Zustände von jemandem entdecken. Also können wir diese Handschrift wie seine Unterschrift unter allen bisherigen, und wahrscheinlich auch zukünftigen Texten erleben.
Im introspektiven Eintauchen sucht Vlahović die Hauptpunkte, das heißt die Stütze der Einzelperson, die wir mit der Formel definieren können: Lesen plus Schreiben ist Leben ... Für ihn ist das Erlebte nicht das Durchlebte, wenn es nicht durch den Stift gegangen ist. Der Autor sagt selbst: Der Zweifel ist der Beginn der Literatur und die Literatur ist das sprachegewordenes und materialisierte Überlegen des Lebens. Für Vlahović ist der Akt des Schreibens ein Zweifel an allem Diesseitigen und eine Art magisches Ritual, indem er, während er eine Vision hat und die Träume materialisiert,  ein bedeutungsschwangeres Wort sucht, um das richtige Wort zu gebären, das wesentliche Wort, obwohl er weiß, wessen Wort es ist. Es befindet sich nicht im Schriftsteller und das ist seine Verdammnis, es bis zur Unendlichkeitzu  sucheb und zu gebären, sich ihm wieder und wieder zu nähern, aber es nie zu erreichen. Das ist nicht nur eine Verdammnis.
Das ist der Reiz und das Vorrecht jener, über die Vlahović sagt: Leben bedeutet, alltäglich die Grenzen der Freiheit erweitern. Und schaffen bedeutet sich freuen. In diesem magischen Akt des Erwachens und der Erweiterung der Grenzen der Freiheit bricht der Autor auf, wenn der Morgen durch den Regen und er selbst durch den Alltag gewaschen ist, geht der Autor auf die Suche nach seinem eigenen Wesen, in dem auch Urteile über andere zerbrechen. Das geschieht nicht ohne katharsische und christliche Überprüfung der gegangenen Wege und der Konfrontation mit sich selbst in allen Nuancen wegen des Einschlagens neuer Pfade.
Was war es schon, das unangekündigt wie der Tod ist, es war notwendig, wenn auch unerwartet. So wie der Tod kein Ende, sondern der Beginn des Daseins in der Unendlichkeit ist, egal, ob es sich um die erste Liebe oder Bücher oder irgendetwas anderes von wesentlicher Wichtigkeit handelt stellt auch das Unangekündigte aus dem Titel die Unerbitterlichkeit der Verlängerung dar, egal wieviel wir auch mit dem Absterben der Liebe sterben oder durch das Schicken eines Teils von uns selbst ins Unbekannte, wenn das Buch ins Leben aufbricht.
Unumgängliches Thema in diesen Texten, wie im Leben selbst und allem, was mit ihm in Verbindung steht, ist eine Frau. Sie ist aber mehr metaphysisch als physisch, mehr Liebe als Sinnlichkeit. Als ob sie sich manchmal in reine Literatur verwandelt, wo Traum und Wirklichkeit sich verflechten und eine Wirklichkeit bilden, die wirklicher ist als jene, über die wir denken, dass sie wirklich ist. Über alle Themen, auch jene ehrlich christlichen, wie Einsiedlertum, Sünde, Treue..., spricht der Schriftsteller nicht akribisch, sondern persönlich und der Erfahrung entsprechend, weshalb das ganze Buch aus tief durchlebten und erkenntnismäßig artikulierten Augenblicken zusammengesetzt ist, die uns in der Ewigkeit bestimmen.
In einem Text sagt der Autor, dass er nicht auf einer Saite spielt, wobei er auf die Verschiedenheit in Gattung und Stilistik seiner früheren Bücher anspielt. Das ist richtig, aber es ist auch richtig, dass er im Zusammenklang von mehr Saiten die gleiche Melodie der Suche nach den Antworten auf die uranfänglichen Fragen über den Sinn des Daseins spielt. Darüber dachten viele nach. Nur Wenige dachten, eine Antwort gefunden zu haben. Das bedeutet nicht, dass jene denen sie eine Antwort anboten, diese auch für richtig hielten. Wenn Sie nicht mit Radovan Vlahović einverstanden sind, mit dem, was für ihn das Wesentliche ist, dann nützen Sie dieses Buch, um zumindest dazu zu kommen, was nicht das Wesentliche ist, und das ist auch schon eine große Sache.
Es gibt eine uralte Geschichte, nach der man einen Zenlehrer fragte: Was ist Zen? Der Lehrer antwortete: Ich weiß nicht, was Zen ist, aber ich weiß, was Zen nicht ist.

 
Dragan Pop Dragan


Über den Autor

Radovan Vlahovic ist 1958 in Novi Bečej geboren. Er studierte Jugoslawische und Weltliteratur in Novi Sad.

Poesie:
Das Buch der Hirten, 1988
Mein Herr, 2005
Der abendliche Akt im Mädchenzimmer von Lenka Dun
đerski, 2009
Mein Herr, zweite ergänzte Auflage, 2009
Uram, Übersetzung von Mein Herr in ungarischer Sprache, 2009

Romane:
Siehe ein Mensch, 2007
Saumsattel der Bläue, 2008

Facebook Notizen:
Unangekündigt wie der Tod: Facebook Notizen I, 2011
James Bond in der kurzen Hose: Facebook Notizen II, 2011
Jahrhundert vergeht: Facebook Notizen III, 2011
Friedrich Nietzsche und Sylvia Plath im männlichen/weiblichen Frisörsalon: Facebook Notizen IV, 2011


Kritischen Texte:
Über die Schriftsteller und die Maler, 2012
Über die heimatlichen Schriftsteller und Maler, 2012

2008 erhielt er den Preis Das Beste aus Banat für den Roman Siehe ein Mensch.
2009 erhielt er von der Matica Srpska* den Dankbrief  für die Zusammenarbeit, Hilfe und Unterstützung bei der Realisierung der wissenschaftlichen, literarischen und kulturellen Programme  von Matica Srpska. Im selben Jahr erhielt er die spezielle Anerkennung als Botschafter der Kultur im Banat im Rahmen des Projektes der Europäischen Union EuroBanat - kulturelle Identität.
2010 erhielt er den Preis Teodor Pavlović für die literarische Arbeit und kulturelle Errungenschaften.

 
Er ist Mitglied der Gesellschaft der Schriftsteller aus der Vojvodina und des Vereines der serbischen Schriftsteller.
Er lebt und arbeitet in Novo Miloševo.

  

* Matica Srpska ist der erste und bedeutendste serbische Verlag und Kulturverein (A. d. Ü.)